Wie unperfekt darf ein Bild sein – oder: Wieso ein behindertes Kind das Recht auf ein eigenes Werk hat

Der Hibbelmors hat Ende des letzten Schuljahres einige Bilder aus dem Kunstunterricht mitgebracht. Zwei davon haben wir in seinem Zimmer aufgehängt. Ja, er findet es total gut, dass sie dort hängen. Ja, er verbindet sie mit Schule. Nein, er hat sie nicht selbst gemacht.

Für mich sind diese Bilder zutiefst symbolisch für eine Dilemma, dem der Hibbelmors immer wieder ausgesetzt ist:

Erwachsene unterstützen den Hibbelmors, weil er vieles nicht oder nur unzureichend kann
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Der Hibbelmors verlässt sich auf Erwachsene und geht Dinge weniger selbstständig an
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Erwachsene greifen mehr ein
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Der Hibbelmors handelt weniger autonom und verlässt sich noch mehr auf Erwachsene

Der Hibbelmors braucht #assistenz – zuhause und in der Schule. Kein Zweifel. Es ist jedoch immer eine Gradwanderung, das assistierte Kind nicht zu bevormunden, es seiner eigenen Erfahrungen nicht zu berauben, es nicht zu dominieren, nicht zu degradieren.

Diese Gratwanderung gilt für mich genauso. Auch ich habe oft nicht die Geduld oder Fehlertoleranz, den Hibbelmors einfach machen zu lassen. Lieber unterstütze ich ihn, damit es schneller geht, ansehnlicher aussieht, runder läuft.

Ich sprach schon davon, dass ich Teams begleite, die in Wohngruppen für Menschen mit Beeinträchtigung arbeiten. Dort ist die Gratwanderung zwischen #fürsorge und #autonomie auch oft Thema. Wo sind die Grenzen, die ein Eingreifen nötig machen? Dreckige Klamotten? Offener Reißverschluss? Übergriffiges Handeln, weil verbale Sprache nicht reicht? Oder eben ein Kunstbild, das weit entfernt ist vom Durchschnitt?
Ich weiß nicht, wie die beiden Bilder entstanden sind. Aber sie haben diese Assoziationen (mal wieder) in mir ausgelöst.

Es ist eine Challenge, Menschen mit Beeinträchtigung handeln zu lassen, ohne dies Handeln zu bewerten, abzuwerten oder zu korrigieren. Vor allem in unserer kapitalistischen, leistungsorientierten Gesellschaft ist es das. Zu tief ist das Vergleichen eingebrannt in unser Weltbild und lässt uns bewerten, welche Leistung erbracht wird. Aber ist es das Ergebnis, das glücklich macht? Ich werde das beim Hibbelmors mal versuchen zu beobachten …

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