Heihussassa – ein fröhliches Murren zum Ferienende

Morgen geht die Schule wieder los. M murrt ein bisschen. Schließlich ist sie erst in der zweiten Klasse, da bezieht sich das Murren ausschließlich aufs frühe Aufstehen. Sogar auf die in einem Freundebuch gestellte Frage „Welches Fach finde ich doof?“ fällt ihr nichts ein. H zeigt, als sein Vater ihm zum fünften Mal sagt, dass morgen wieder Schule ist, keine ersichtliche Reaktion. Ist das seine Art zu murren oder sagt er damit „Klar, alles super“ oder aber versteht er es nicht? So oder so: Sein Abenteuer der Inklusion in Schule beginnt morgen wieder – für uns alle!

Sieben Wochen geht H jetzt zur Schule. In eine Regel-Grundschule geht er – wen es interessiert: Hier steht mehr über die Qual der Schulwahl.
Seine Klasse ist eine von drei ersten Klassen. Es ist die Inklusionsklasse. 19 Kinder, eine Klassenlehrerin, eine Sonderpädagogin, eine Klassenassistenz, eine Assistenz, die sich speziell um H und ein weiteres beeinträchtigtes Kind kümmert. Das alles in zweieinhalb Räumen. Wirklich gut ausgestattet also. Und H fühlt sich wohl. Also fühle ich mich wohl.

Ich sehe, wie herzlich er begrüßt wird von den Erwachsenen und auch von den Kindern. Alle Kinder haben sich eine persönliche Namensgebärde überlegt und eine der Assistenzen hat sie als kleine Videos auf H’s Talker aufgenommen. Die BLIK-Gebärden werden genutzt, wenn neue Buchstaben erlernt werden. In der Pause spielen Kinder mit H und – fulminanter Trommelwirbel, jauchzendes Mutterherz – H hat heute seine dritte Einladung von Schulkamerad*innen bekommen. Einmal zum Spielen, einmal zum Fußball-Geburtstag, einmal zur baldigen Halloween-Party. Das finde ich toll. Ach, das reicht überhaupt nicht: Es stimmt mich zutiefst dankbar. Ich weiß, das ist nicht wirklich auf Augenhöhe mit meinem Söhnchen. Hat er nicht genug zu bieten, um beliebt zu sein trotz Sabbertuch, Windeln und fehlender Wort? Doch, das hat er anscheinend. Und trotzdem bin ich dankbar, denn Einladungen exklusiv für ihn waren sein Leben lang so rar wie Albino-Delfine.

Aber es gibt auch – und das scheint mir der Rolle der Behinderten-Mutter innezuwohnen, zumindest, wenn man ähnlich tickt wie ich – ein „Das ist echt nicht fair“-Gefühl. Die Hausaufgaben für H sind dieselben, die alle Kinder aufhaben. Klar können wir die mit ihm machen, aber H’s Anteil beträgt dabei höchstens ein Zehntel. Den Rest ertricksen wir durch (sehr klare) Handführung oder ähnliches. Das ist doch nicht fair, oder? Müsste es nicht irgendwie etwas geben, das seinem Entwicklungsstand und seinen Fertigkeiten entspricht?

Das größte, in mir aktiv wütende Nicht-fair-Monster ist aber der Elternabend. Der erste Elternabend für eine erste Inklusionsklasse in einer Grundschule. Das Thema, das fehlt: Inklusion. Es wird weder darüber geredet, wie die Inklusion läuft, was mit den Inklusionskindern inhaltlich getan wird oder wie die Kinder miteinander umgehen – so über Behinderungsgrenzen hinweg. Es wird vom regulären Deutschunterricht berichtet, vom Mathe-Unterricht – dafür erscheint extra die Fachlehrerin. Von den Büchern wird geredet, in denen die Kinder, also die Regelkinder, demnächst arbeiten sollen usw. Kein Herausnehmen der Eltern der I-Kinder. Wäre auch nicht so richtig inklusiv, aber wenigstens ein Zeichen, dass die I-Kinder der persönlichen Berichterstattung wert sind.

Dann schnell Elternsprecher*innen-Wahl: Zwei Mütter von Regelkindern erklären sich netterweise bereit und fast wäre der Spuk vorbei. Da muss ich wenigstens einen kleinen und späten Einspruch erheben. Ich sage, dass ich finde, in einer Inklusionsklasse solle doch unter den Elternsprecher*innen auch ein I-Elternteil sein. Also bin ich jetzt ‚außer der Reihe‘ dritte Elternsprecherin.

Ja, gehört das denn so? „Das ist doch nicht fair!“ wütet das Monster in mir. Ich weiß nicht, ob ich es mit einem hoffentlich beidseitig konstruktiven Gespräch darüber auf dem anstehenden Elternsprechtag befrieden kann. Es hat schon eine Riefe getobt. Drin geschrieben steht, dass so was doch eine Haltungsfrage ist und dass ich diese Haltung äußerst fragwürdig finde.

ABER: H feiert seine erste auswärtige Halloween-Party. Zwar sind wir mit eingeladen, weil die Unsicherheit bei den Eltern doch etwas zu groß ist, aber das sind Kinkerlitzchen. Sie haben sich getraut, einen inklusiven Grusel zu veranstalten. Hexenhut ab – echt …

2 Antworten auf „Heihussassa – ein fröhliches Murren zum Ferienende“

  1. Liebe Nicole,
    wieder einmal lese ich deine Zeilen voller Begeisterung und mit großem Verständnis.
    In mir wohnt auch so ein Schätzchen.
    Es tobt (noch heute) immer wieder mal in mir, dieses „das-ist-nicht-fair-Monster“! – obwohl meine Beiden doch längst erwachsen und nicht inklusiv sind.
    Ich wusste am besten um ihre Stärken (und Schwächen) und habe mir immer gewünscht, die Menschen würden meine Kinder mit meinen Augen sehen – was natürlich nicht geht, denn niemand kann sie sehen wie ich, ihre Mutter, die sie schützen möchte vor allem Möglichen und Unmöglichen.
    Es ist wunderschön zu lesen, dass dein Sohn Freude & Freunde findet. Und es ist schön zu lesen, dass dein Mutterherz Hüpfer macht. Ich wünsche euch mehr davon – Freunde, Freude und viele Hüpfer..
    😊

  2. Das Gute ist: Es bedarf vermutlich auch nicht unbedingt eines erklärten I-Elternsprechers, um I-Themen nachzufragen, wo es aktuell angezeigt scheint. Das sind zumindest meine I-Erfahrungen. Zumal du recht hast: Eigentlich müsste I zwangsläufig im schulischen Dialog auftauchen, wo es *inhaltlich* wichtig ist, und nicht – exklusiv – losgelöst vom Rest. Aber genau da wird es dann tatsächlich, Zitat: unfair. Denn es hängt (wieder meine Erfahrungen) eben doch an der I-Mutter oder dem I-Vater, entsprechende Themen zu lancieren. Aber das ist nicht kriegsentscheidend. Viel entscheidender als die Rolle des erklärten (oder nicht-erklärten) I-Elternsprechers ist zu sehen, ob bei Euren Elternabenden I-Anstösse auf einen fruchtbaren Boden fallen. Macht die Schule das zu ihrem Thema. Und andere Eltern. Es braucht den konstruktiven Dialog – mit oder ohne I-Sprecher. Viel Glück!

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