Wickeln mit Manni

H’s Windeln führen mich verlässlich zurück in die karottenhosigen 80er. Als „Manni, der Libero“ lief, war ich zehn Jahre alt. Jetzt sehe ich „Libero“ in kindlich geschwungener Schrift jeden Tag mehrmals vorne auf H‘s Windeln stehen. Jedes Mal erscheint mir dann Tommi Ohrner – im weißen Trikot auf einem riesigen Fußballfeld sitzend.

Was will ein Windel-Name?

Als Texterin muss  ich einen kleinen Exkurs zum Naming einschieben und zwar insbesondere zum länderübergreifenden Naming: Die besagten Windeln stammen aus dem Hause Tena. Tena gehört zu Essity, welches seinen Hauptsitz in Stockholm hat. In Schweden wurde also – wahrscheinlich von einer externen Kreativ-Agentur – der Name „Libero“ für Kinderwindeln entwickelt. Sicher wurde zunächst assoziativ nach positiven Zuständen gesucht, die Kinder mit der Windel erleben sollen. Freiheit drängt sich auf – zum Beispiel die Freiheit zu pinkeln, wann ich will. Mehr Freiheiten bringt eine Windel, die die Haut mit ordentlich Plastik dicht umschließt, kaum mit sich.

Nun gut, also welche Worte finden sich zum Thema Freiheit? Nach viel Brainstorming dann „libero“ – italienisch für „frei“ (allerdings nur für Jungs, sonst hieße es „libera“. Gendermäßig auch nicht das Gelbe vom Ei). Ja, so habe ich es mir gedacht, bis ich nachgeschaut habe, was libero auf Schwedisch heißt. Es heißt: Libero. Also war der Gedanke an Fußballhelden, wie Tommi Ohrner einen verkörpert, durchaus gewünscht?!

Warum allerdings ein Windelkind ein – ich zitiere Wikipedia – Verteidigungsspieler ohne direkten Gegenspieler sein soll, erschließt sich mir nicht. Da finde ich den freien italienischen Jungen doch die wahrscheinlichere Variante bei der Idee zum Windel-Namen. So oder so – Naming ist eine komplizierte Sache und löst blitzschnell Assoziationen aus, die nicht gewünscht sind. Mehr wollte ich dazu auch gar nicht sagen.

Jetzt aber zum Thema: wie wir wickeln

Es ist klar, dass H seine Windeln noch einige Zeit, vielleicht sein ganzes Leben lang brauchen wird. Trotzdem haben wir von einem Jahr entschieden: Der Wickeltisch kommt weg. Auch wollten wir kein Pflegebett, das extra für die Körperpflege höhenverstellbar ist. Warum? Weil …

… die Zwillinge sich ein Zimmer teilen und es nicht augenscheinlich nur auf H’s Bedürfnisse ausgelegt sein soll.

… unsere Vorstellung von „Schöner Wohnen“ nicht mit dem dominanten Pflegebett zusammenpassen. Wer ein Pflegebett nicht kennt – voilà.

… wir in allem ein bisschen minimalistischer werden wollen – so auch beim Wickel-Thema.

… keine professionelle Pflegestelle zu haben auch heißt, sich nicht gänzlich in dieser Situation einzurichten. Vielleicht gibt es so eine klitzekleine zusätzliche Motivation, Toilettentraining ernsthafter zu betreiben.

Also wickeln wir auf dem normalen Bett oder auf dem Sofa – ein Moltontuch dient als Unterlage. Es ist nicht total bequem, aber von allen völlig akzeptiert.

Wickeln ist so blöd wie Haarekämmen

Naja, H akzeptiert das Wickeln nur so gerade eben. Eigentlich findet er es ziemlich blöd. Es ist eben kein Spielen, sondern notwendige Körperpflege – auch wenn wir mittlerweile ein kleines Repertoire an Wickel-Neckereien haben:

  • Die Wickel-Gebärde sind umeinanderkreisende Unterarme – kennt man vom Schiri, der einen Spieler*innen-Wechsel ankündigt. H macht sie, auf dem Moltontuch liegend, mal langsam, mal schnell und ich muss seine Tempowechsel bemerken und von „langsam“ (sehr langsam gesprochen) auf „schnell“ (ganz schnell gesprochen) schalten.
  • Ich frage „Soll ich dir etwas vorsingen?“ H nickt begeistert. Ich beginne mit einem Lied und H schüttelt bald den Kopf – ich muss ein neues Lied anstimmen. Immer und immer wieder.
  • Ich lege H ein Tuch, ein aufgeschlagenes Heft, ein Kleidungsstück auf’s Gesicht und er lüftet es, um mich mit einem Jauchzer zu erschrecken.
  • Klar, das klassische „Auf-den-Arm-oder-das-Bein-Pupsen“ mit dem Mund gehört auch dazu.
  • Wir intonieren Buchstaben: H macht einen Laut vor und ich mache ihn nach. So deklinieren wir alle durch: A – E – I – O – U – M – L (es werden immer mehr).

Manchmal denke ich an die Pubertät, an H‘s Sexualität, wenn er größer wird, an die Schizophrenie, dass das Wickeln durch die Eltern oft der einzige sexuelle Kontakt für schwerer behinderte Menschen ist. Aber ich gemahne mich zu dem Credo, dass ich in Bezug auf alle Kinder für richtig halte: Heute zählt, nicht morgen.

Bezahlte Windeln – ein kleiner Tipp

Windeln werden für behinderte Kinder ab dem vollendeten dritten Lebensjahr durch die Krankenkasse finanziert. Unsere Kinderärztin stellt dafür ein Jahresrezept aus und wir werden alle zwei Monate mit unserer Ration beliefert. Wer dazu mehr wissen will, frage bitte.

Toilette mit Quatsch – das funzt

H‘s toller persönlicher Assistent in der Kita hat es bereits drei Mal geschafft: H hat sein Geschäft in die Toilette gemacht. Mit viel Quatsch machen, mehr als fünf Minuten Geduld und dem Wissen darum, wann H in der Regel sein Essen verdaut, hat er es tatsächlich geschafft. An dieser Stelle: Danke, lieber T, du machst das wahnsinnig gut!

Es gibt also Chancen darauf, dass H die Toilette nicht nur als spannenden, sondern auch als nützlichen Ort begreift. Dann, ja dann werden unsere Liberos ihren Glanzauftritt haben. Sie werden das Spielfeld allesamt unter Applaus verlassen und glorreich in den Mülleimer wandern …

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