Geliebter Folterknecht – oder: der Absauger auf unserer Fensterbank

Es war nach einem von H‘s frühen Krankenhausaufenthalten, als der Absauger in unser Haus kam. Damit erlösen wir seitdem H‘s Nase von allem, was dort nicht hingehört. Seit grob fünf Jahren ziert er nun schon unsere Küchen-Fensterbank und verschwindet höchstens mal im Hochsommer im Schrank nebenan.

Schnupfen ohne Erbarmen

Auch H hatte einen Nestschutz – klar. Er hat zudem abgepumpte Muttermilch bekommen, die ihn noch ein bisschen länger vor Viren und Bakterien bewahrt hat. Als er aber ungefähr ein halbes Jahr alt war, haben wir Bekanntschaft mit seinem speziellen Schnupfen gemacht – ein ekliger Kerl, der keine halben Sachen macht, und Kindern gerne mal ordentlich eins vor den Latz knallt.

H musste bereits mit seinem ersten Schnupfen für mehrere Tage ins Krankenhaus. Hier ist er auch zum ersten Mal mit einer Nasensonde ernährt worden. Der Schnupfen hat den schon von Geburt an zu engen Nasen-Rachen-Raum von H derart zugeschnürt, dass an Essen nicht mehr zu denken war. Vorher hatten wir es mit viel Zeit, tausend Essensgaben, milliliter-genauer Buchführung und einem Habermann-Sauger gerade so geschafft, H ausreichend zu ernähren.
Der Schnupfen hat uns gelehrt, wie selbstverständlich und zügig sich ein Kind der mühsam angefütterten Gramm wieder entledigen kann.

Auch heute verhält es sich so: Ist M‘s Schnupfen die hessische Wasserkuppe, spielt sich H’s Schnupfen als schneeumtoster Achttausender auf.

Mieseste Absaug-Quälerei

Dieser Beitrag ist akut. Vorgestern ging es nach zwei Wochen Pause (ja, diese Frequenz ist typisch) wieder los mit H’s Leib-und-Magen-Krankheit. Ohne Strichlisten-Gewissheit: Ich schätze, gestern haben wir den Absauger so zwölf Mal genutzt. Das gibt es durchaus auch in doppelter Tages-Dosis. Ich sauge mehr ab als mein Liebster, weil H diese Nasen-Prozedur mir irgendwie eher zugesteht, als seinem Vater.

H sitzt dabei seitlich auf meinem Schoß, sein Kopf in meine linke Armbeuge gebettet. Seine rechte Hand ist sicher zwischen meinem Arm und Körper eingeklemmt, seine linke Hand nehme ich in meine linke. Ich schalte das Gerät an. Läuft es gut, lässt H die Qual über sich ergehen. Ich verstehe aber auch gut, dass es manchmal schlecht läuft. Um ein Gefühl für H’s Situation zu bekommen, habe ich mich selbst mal abgesaugt. Das kitzelt und ist unangenehm und fühlt sich völlig falsch an da in der Nase. Läuft es also schlecht, muss ich zusätzlich durch Positionen, die kaum zu beschreiben und immer neu improvisiert sind, Kopf oder/und Beine fixieren.

Anders gesagt: H würde dem Absauger gern Adieu sagen, wir Eltern ebenso. Er ist echt ein Folterinstrument, aber er ist das einzige, was hilft. Sage ich H „Puste mal durch die Nase“, dann bringt er ein leises Lüftchen zuwege. Da lässt sich kein Schnotten mit bewegen!

Immerhin: Vor einem halben Jahr hat H eben dieses nasale Lüftchen noch gar nicht zustande gebracht. Mal sehen, wo wir in zwei Jahren im Kampf gegen den Absauger stehen.

Absolut bedenkliche Mengen Nasentropfen

Ja, und wir geben H Nasentropfen. Viel zu viele Nasentropfen, so dass ich manchmal Angst vor den Folgen habe. Er bekommt übers Jahr gemittelt sicher 15 Mal monatlich welche. Zum Vergleich, der sich bei unseren Zwillingen immer so schön anbietet: M bekommt ungefähr 15 Mal jährlich welche. Aber H und wir kriegen es einfach nicht ohne sie hin. Wir inhalieren schon mehrfach am Tag, geben Meersalz-Nasenspray und Cortison, hängen feuchte Tücher auf und schmieren Engelwurzelbalsam auf die Nasenflügel.

Auch hier hilft Akzeptanz: Der Schnupfen und unsere für alle nervige, invasive Therapie gehören zu uns. Eins mache ich aber, auch wenn ich diese Misere akzeptiere. Ich trainiere das nasale Lüftchen. So wächst es sich vielleicht zu einem lautstarken Trompeter in ein extra großes Taschentuch aus. Leute, das werde ich feiern. Auch wenn es, wie so oft im Leben mit einem behinderten Kind, ein recht unkonventioneller Anlass zur Freude ist …

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