Über sechs Monate lag der Blog brach. Das tat mir manchmal weh und oft leid, aber die Motivation musste erst so groß werden wie heute, damit sie mich wieder ins Schreiben bringt. Es gab etwas, worüber ich gestolpert bin und das meine Lust auf das Bloggen auf den Prüfstand gestellt hat. Was ist passiert?
Im April erscheint in der hiesigen Tageszeitung ein Artikel über den Blog. Er tingelt durch die verschiedenen Stadtteil-Ausgaben und landet schließlich im Pressefach des regionalen Fernsehensenders. buten & binnen ruft an und zeigt Interesse an einem filmischen Beitrag über den Blog und uns. Ich zeige Bereitschaft, sage aber, dass ich meine Kinder nicht zeigen will. Gleichzeitig weiß ich in dem Moment nicht, ob das stimmt. Reportagen wie „Uma und ich“ oder „Jan tanzt aus der Reihe“ zeigen behinderte Menschen unverblümt und berühren mich genau wegen dieser Offenheit.
Wir kommen ins Fernsehen – oder nicht?
Kurz und gut, meine Tendenz zu der Anfrage ist sinngemäß „Will ich machen, gern auch was aus unserem Familienalltag zeigen, ganz vielleicht sogar doch die Kinder samt ihren Gesichtern“. Sicher bin ich mir aber eben nicht. Dieses innere Hickhack, das ich hier pointiert erlebe, kenne ich bereits vom Blog:
H &M verschlüssele ich, benutze Fotos, auf denen keiner von beiden erkennbar ist und schreibe dennoch herzensoffen bis ins Detail.
Es ist schizophren und mit diesem zerrissenen Gefühl treffe ich auf meinen Liebsten. Erzähle ihm (stolz und euphorisch) von der Fernseh-Anfrage. Bemerke (schon leicht geknickt) seine verhaltene Reaktion. Vernehme (ja, doch: gekränkt) seinen Wunsch, sich das in Ruhe zu überlegen. Schon nach einem Tag denke ich, warum er das Thema nicht zur Sprache bringt. Warte noch (gequält) drei weitere Tage und frage dann (durchaus krawallig) nach dem innerlich gereiften Ergebnis.
Klappe zu, Affe tot
Er will nicht, dass ein Fernsehteam zu uns nach Hause kommt. Er will unser Heim nicht publik machen und schon gar nicht die Kinder. Peng!
Eine in mir versteht das alles und findet es absolut richtig. Eine andere jedoch fühlt alle Ziele, die ich mit dem Blog verfolge, torpediert: Behinderung nicht hinter verschlosener Tür leben, sondern zeigen; das Leben damit in guten wie in schlechten Tagen anderen zugänglich machen; überInklusion nicht kleinlaut unter Betroffenen , sondern medial möglichst breit reden usw.
Und dann ist der Ofen einfach aus. Ich reagiere fatalistisch, was ich gern mal tue. Ich weiß nicht mehr, was ich mit dem Blog überhaupt will. Mein Liebster spricht von einer Art virtuellem Tagebuch, mit dem ich mir die Seele freischreibe. Ich will mehr. Oder will ich es doch nicht? Jedenfalls bin ich bockig und verharre in diesem Zustand etwas zu lange, um mit dem Bloggen einfach so wieder anzufangen.
Nein, ich habe bis jetzt nicht geklärt, was genau ich mit dem Blog will, aber eins weiß ich: Ich will den Blog weiterführen. Das Verhältnis von öffentlich und privat wird schizophren bleiben und das habe ich akzeptiert.
Was in einer Pause alles passiert
Sechs Monate ist eine lange Zeit, in denen viel passiert ist. M ist in der Schule und hat ihren dritten Milchzahn verloren. H schaukelt hoch und kann jetzt den dreibuchstabigen Spitznamen seines großen Bruders sagen, wenn er sich müht. Er ist noch ein Jahr länger im Kindergarten, wird aber nächstes Jahr eingeschult.
Und genau das ist der Auslöser, den Blog wiederzubeleben. Die Suche nach der Schule, an der H sich gut weiterentwickeln kann, treibt uns um. Die illustre Schulentscheidung in Bremen, das auch schon mal als Spitzenreiter der Inklusion gilt, muss ich einfach teilen. Dazu mehr im nächsten Post. Auch zu dem Lebenshilfe-Buchprojekt, in dem wir mitwirken. Als Schlussstrich unter einer langen Pause aber erst noch ein paar Impressionen und dann geht’s weiter …
Liebe Nicole Wrede
Gut dass die Pause erstmal zu Ende ist. Ich habe mir schon Gedanken gemacht und war sehr froh über Neues vom hibbelmors. Die Bilder soundso wunderschön, aber wenn man/frau die beiden kennt, dann sieht man Töne, Bewegung, Spiel und Spaß. Ich finde für mich im Blog genug Miterleben und Beteiligung und Mithineinversetzen durch die offene „Berichterstattung“. Und ich wünsche mir, dass viele Menschen mitbekommen, was das Leben und die Tage alles so bereithalten mit einem kleinen H. Der Blog ist einzigartig. Dankeschön dafür. Also ich würde mehr Öffentlichkeit schon gut finden. Aber ob die Kinder das später usw … Ich werde mal mit meiner Tochter sprechen, die auch Filme macht, und dabei sehr kritisch den medialen Verbreitungen gegenüber ist. Aber erstmal: großes Verständnis.
Noch ein so motivierender und wertschätzender Kommentar. Danke dafür und ich wäre gespannt, was Ihre Film-Tochter dazu meint. Ganz by the way: buten un binnen wollte dann sowieso auch nicht mehr mit uns drehen, wenn die Kinder nicht von vorne gezeigt werden dürfen … Alles Gute für Sie!
Hi ich bin auch ganz begeistert, dass du wieder schreibst. Ich finde deine Art zu schreiben großartig und als Familienmitglied bin ich sehr dankbar , das ich so an eurem Leben teilhaben darf. Danke dafür und an deinen Liebsten hab ich auch schon geschrieben und meine Meinung zum Thema Fernsehauftritt mitgeteilt. Ich hoffe nur, das ich mich damit nicht zu sehr einmische, aber das ist halt meine Meinung und ich finde ihr solltet den Schritt in die Fernsehöffentlichkeit wagen. Danke das du wieder schreibst und bis bald.
Gute Entscheidung! Weiterführen, unbedingt! Der Zwiespalt ist absolut nachvollziehbar und wird im Blog sehr plastisch. Und gerade das ist der grosse Vorteil des Blogs. Andere ranlassen. Wie weit, hängt ja an Dir/ Euch. „Die Anderen“ lernen so oder so. Selbst von der Beschreibung des Zwiespalts.
Als Zuschauer sage ich: schade, durch das Filmchen bei bubi hätte ich noch mehr gelernt. Als Medienschaffender sage ich auch: schade. Das wäre eine richtig schöne Arbeit gewesen, mit guten Protagonisten und einem persönlichen Ansatz. Und als „Betroffener“ (ein Kind) sage ich: Volles Verständnis. Auch für den gegenteiligen Fall, also wenn die Entscheidung andersherum ausgefallen wäre. Der Zwiespalt … ist absolut nachvollziehbar, wie gesagt.
Schöner Blog!
Was für ein Rückenwind. Allen dreien von dir – Zuschauer, Medienschaffendem und Betroffenem – sage ich beseelt danke. Das tat verdammt gut …