Hundert Sachen – alle in einem Lastwagen

… das ist der Versuch unserer Tochter, ihrem Bruder das baldige Phänomen `Umzug´ näherzubringen. Es gibt da ein Haus. Das ist echt schön. Und wir mieten es! Es ist kleiner als unsere jetzige Wohnung, aber es ist ein (Doppel-)Haus. Mit fettem Garten. Und genau den wünschen wir H&M schon lange. H habe ich an anderer Stelle bereits als Outdoor-Menschlein beschrieben. Freut sich M auch aufs Sofa, den Maltisch, die Aussicht auf Plätzchen und Kakao, protestiert H stets, wenn es reingeht. Jetzt kriegt er ihn – den immer verfügbaren Outdoor-Spielplatz.

Was ist anders an diesem Umzug, da wir H mit verpflanzen? Im Kern dreht sich alles um zwei Fragen: Wie passt die neue Umgebung zu ihm und wie passt er zur neuen Umgebung. Klar frage ich mich das auch bei M und uns Eltern, aber bei H ist es (wieder einmal) etwas anders. Etwas größer. Etwas eindringlicher.

Haus-Besichtigung als Cyborg

Wer schon mit zu vollen Powerpoint-Charts gequält wurde, der kennt ihn: den roten Punkt auf der angebeamten Wand, der den Weg auf dem Folien-Wirrwarr zeigen soll. Ich sage euch, bei unserer ersten Haus-Besichtigung bin ich zeitweilig als Cyborg unterwegs. Ich kann genau solch einen Laserpointer zu meinem Blick hinzuschalten – vielmehr schaltet er sich automatisch hinzu. Und er kann sogar sprechen!

  • Er pointet auf die ‚Raumspartreppe‘ zum ausgebauten Spitzbogen. Er fragt: „Wie soll man das ausreichend sichern, damit H da rauf kann?“
  • Er pointet auf die Terrasse, die höher als der Rasen angelegt und an einer Seite nicht ummauert ist. Er provoziert: „Wie oft wird H die kleine Böschung runterfallen, bevor er versteht, dass er nicht am Rand entlanggehen darf?“
  • Er pointet auf die Öffnung zum Nachbargarten, in dem – so erzählt der Vormieter – im Sommer ein Trampolin steht und frotzelt: „Na, wenn die Familie mal nicht schnell genervt ist von einem behinderten Jungen, der ständig rüberwill und schreit, wenn er seinen Willen nicht bekommt.“

Diskussion mit einem Laserpointer

Ich muss echt mein Herz zusammennehmen, um diesem Laserpointer die Stirn zu bieten. Ich mache ihm und mir klar, dass wir und auch H immer wieder solchen wohnlichen Herausforderungen begegnen würden. Egal wohin wir ziehen. Außer wir ziehen in einen Flachdach-Bungalow draußen weit vor den Toren der Stadt. Da will ich aber überhaupt nicht hin. So habe ich also meine liebe Last damit, das Cyborg-Sein abzulegen. Die Euphorie, dass wir gerade tatsächlich das zu finden scheinen, was wir seit Jahren suchen, erleidet Schwächeanfälle. Gott, seit H in meinem Leben ist, bin ich eine Sorgenträgerin par excellence. Das sorgt (haha) leider öfters für ein Leben mit angezogener Bremse.

Aber zum Glück und im Gespräch mit meinem Liebsten behält die Lust auf dieses Haus, auf diesen Garten, auf diese neue Straße um die Ecke einer offenen Ganztagsschule die Oberhand.

Eine ganze Verpflanzung in dieser einen Gebärde

M fiebert schon mit, als ich ihr nur von dem Haus erzähle. Erst ist sie entrüstet, dass das neue Zuhause gar nicht in der Nähe der Grundschule sei, in die sie kommen soll. Dann müsse sie doch jeden Tag ganz weit fahren – sagt sie unter Tränen. Dieses dreuende Unglück muss ich also erst mal abwenden. Das geht schnell mit dem Verweis auf diese andere Grundschule, die nur fünf Minuten zu Fuß von dem neuen Zuhause entfernt liegt. Ab da ist M Feuer und Flamme. Sie weiß, dass die Vermieterin sich erst entscheiden muss. Sie versteht, dass es alles etwas enger wird. Sie kapiert langsam, was es heißen könnte, alle Dinge in Kartons zu packen.

H macht für all das genau eine Gebärde. Das Fingerdach, das ‚Haus‘ heißt und ‚Zuhause‘. Ich schrieb schon hier darüber. Immer, wenn wir über das neue Haus reden, macht H dieses für mich mittlerweile sehr berührende Fingerdach – und versucht damit all das zu greifen, was wir noch so erzählen. In aller Ruhe versuche ich ihm nochmals alles zu erklären. Aber er kann nicht nachfragen. Und mir fehlen wieder Gebärden, die ich ihm an die Hand geben könnte: ‚Umzug‘, ‚Keller‘, ‚Terrasse‘.

Und dann ist da noch die Sache mit den Geräuschen. Viel Rums, Brrr, Krach, Dsch gibt es nun mal bei einem Umzug. H ist mit allen spinnefeind. Ah, da kommt sie wieder zur Tür herein, die Sorgenträgerin. Ich werde sie wohl freundlich einladen, ihr zuhören, und sie bitten, die Freude auf das Neue nicht zu arg kaputtzusorgen …

5 Antworten auf „Hundert Sachen – alle in einem Lastwagen“

  1. Liebe Nicole,

    was für ein Projekt gleich zu Beginn des neuen Jahres! Ich wünsche Euch Kraft und Gelassenheit- und ganz viel Lust auf das und noch viel mehr Spaß in dem neue(n) Heim. Liebe Grüße, Ulli

    PS: ich liebe diesen Blog.

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