Am Wochenende vor Weihnachten bekommt M Fieber. Den Weihnachtsbaum haben wir noch geholt – zu Fuß und mit H im Buggy. Mittags dann auf einmal 39 Grad. Sie will sogar ein Zäpfchen, weil der Kopf so brummt. Danach über eine Stunde komatöser Schlaf mit roten Bäckchen und dann – beste Laune.
H und sein Vater sind mittlerweile beim Sternenfest des Kindergartens, wo wir eigentlich alle hinwollten. M und ich machen es uns gemütlich, stellen den Baum auf und holen die Kugeln vom Dachboden. M im Bademantel, ich in Jogginghose, um uns herum Karel Gott. Ja, der muss es zumindest beim Tannenbaum-Schmücken sein. Das ist die Weihnachtsplatte meiner Kindheit. Keiner mag sie, aber mir schenkt sie eine Prise kribbelndes Weihnachtsgefühl von früher, dass sich nur in homöopathischen Dosen ins Erwachsenenalter herüberretten lässt.
Heute so entspannt?
Da steht es also, das herausgeputzte Nadelbäumchen. Die echten Kerzen zwar noch aus, aber die elektrischen leuchten, als H das Wohnzimmer betritt. Immer und immer wieder deutet er auf den Baum und macht die Gebärde für Baum. Er schleicht um ihn herum, befühlt mit einem vorsichtigen Finger die Astspitzen und – fängt an Kugeln zu klauen. Ok, das ist ein bisschen anstrengend, aber alles in allem habe ich ein deutlich ruhigeres Gefühl, als letztes Jahr. Mehr noch als an allen (Vor-)Weihnachten, die ich bislang als Mutter erlebt habe. Ich komme aber nicht drauf, warum. Ich habe noch eine Woche voll der Arbeit und Termine vor mir. Das ist es wahrlich nicht. Wir haben vor kurzem das Sofa umgestellt. Jetzt kommt H etwas entspannter am Baum vorbei, selbst in seinen torkeligsten Momenten. Sollte das der schnöde Grund für meine Gelassenheit sein?
Kurz vor Beginn des Kindergottesdienstes an Heiligabend dann die Erkenntnis: Es ist das erste Weihnachten, an dem H nicht deftig krank ist. Im letzten Jahr hatte er sein übliches 40-Grad-Fieber und war nur zufrieden auf dem Schoß meiner 80-jährigen Mutter. Sitzen war zu anstrengend, weg von Ommi wurde nicht akzeptiert, also hing er dort mit halb geschlossenen Augen und schnellem Atem. Meine Mutter hatte mit dem heißen Kerlchen auf dem Bauch ihre liebe Last, hat aber ihre Aufgabe als sicherer Hafen bravourös gemeistert. Zur Bescherung haben wir H für zwei Stunden fit gedoped. Danach ging es wieder bergab und wir fuhren doch noch so richtig schön weihnachtlich zum kinderärztlichen Notdienst.
In Variationen – überwiegend mit grippalem, aber auch mal mit Magen-Darm-Infekt, der dann auch meiner Schwester und meiner Mutter beschert wurde, war so eben H’s Zustand an Heiligabend.
Jetzt ist er gesund. Noch nicht mal einen Schnupfen plagt ihn. Da in der Kirchenbank lässt diese Erkenntnis eine kleine Glücksbombe platzen und mir kommen tatsächlich die Tränen.
Unter’m Baum
Wer den Beitrag über den behinderten Nikolausstiefel gelesen hat, weiß, dass es nicht leicht ist, unseren behinderten Sohn zu beschenken. Für M sind meist zahlreiche Ideen da, für H müssen wir sehr aufmerksam sein. Diesmal ist es fast umgekehrt. Die Präsente für H waren schnell klar. Vielleicht interessant für andere Eltern behinderter Kinder – das liegt für H unter’m Baum:
- ein ferngesteuertes Auto
… fährt langsam und ist mit vier Pfeilen auf der Fernbedienung verhältnismäßig einfach zu lenken – an die Grenzen seiner feinmotorischen Fähigkeiten kommt H dabei aber immer noch. - eine Puppe mit langen Haaren und Bürste
… H liebt es zu kämmen – Hauptsache, es ist nicht sein Haar – und er wiegt die Puppe herzallerliebst in seinen Armen. - fünfeckige Magformers
… von den Bau-Magneten hat er schon Quadrate und Dreiecke – die sind für ihn wirklich der Hit – sieht man auch auf dem Foto, wo er die neuen Magformers an unsere Stehleuchte im Wohnzimmer hängt. - eine Taschenlampe
… H leuchtet durch alle möglichen Stoffe und Dinge hindurch – leider auch immer wieder direkt in seine Augen hinein. Die Zwillinge lieben es, allein in einem dunklen Zimmer Taschenlampen-Party zu veranstalten. - ein Wimmelbuch
… in das er sich tatsächlich – tief darüber gebeugt und ungefähr zehn Zentimeter zwischen Augen und Buchseiten – für längere Zeit vertieft, wenn seine Schwester neben ihm sitzt und ebenfalls ein Buch anschaut.
Auch ohne Fieber nervenaufreibend
Klar, ist das alles anstrengend zum Feste: M wegen der Weihnachts-Aufgekratztheit immer nah am Nervenzusammenbruch und stets zu Tränen und wildem Protest bereit. H ganz aufgepuschelt und kreischig, weil seine geliebte Tante und seine Ommi zu Besuch sind. Und das Essen und die Geschenke und alles à point fertig und glänzend – ihr kennt es ja!
Aber, was für eine wohlige Weihnacht ist das ohne Temperatur. Ohne einen leidenden kleinen Jungen, der eigentlich jede festliche Stimmung ad absurdum führt. Ohne das Feiern aus Pflichtgefühl, weil eben Weihnachten ist und M ein Recht auf jenes kribbelnde Weihnachtsgefühl hat, trotz infektanfälligen Bruders. Das ist bombastisch erleichternd.
Und hättet ihr H zugesehen, wie er seine Geschenke auspackt, ihr hättet mit ihm lächeln müssen. Zum ersten Mal schafft er es in diesem Jahr, selbst die Verpackung aufzureißen. Sehr zum Leidwesen seiner ungestümen Schwester geschieht das in Slow Motion, aber es geschieht. Und bei jedem abgerissenen Fitzel grinst H bis ins Mark. Er weiß einfach, sein Ziel rückt näher. Wie lange er dahin braucht, ist ihm sichtlich einerlei …
<3
Da wird mir nochmal ganz weihnachtlich.
Hallo Katrin,
tja, jetzt ist die Weihnachtsstimmung wohl vorüber. Unsere Wohnung ist zumindest wieder komplett entweihnachtlicht.
Ich finde es jedenfalls schön, dass dir ein Hibbelmors-Beitrag weihnachtliche Gefühle beschert hat.
Ich hoffe, es waren positive Gefühle – weiß man ja bei Weihnachten nie so genau?!